Klimaziele sind von China abhängig

Nur wenn China, der größte Umweltverschmutzer, eine aktivere und konstruktivere Rolle spielt, kann die Welt ihr Ziel erreichen, die globale Erwärmung bis 2100 auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

Kurz und bündig

                    • Für China gehen Energiesicherheit und Wirtschaft vor Klimaschutz
                    • Peking politisiert Energie, wie sein Kohleimportverbot mit Australien zeigt
                    • Ein Lichtblick ist Chinas Rekordproduktion an erneuerbaren Energien
Traffic road in China Image by Alex from Pixabay
Traffic road in China Image by Alex from Pixabay

Auf die 1,4 Milliarden Menschen in China entfallen 19 Prozent der Weltbevölkerung, 22 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und 26 Prozent des Energieverbrauchs der Erde. Allein im Energiebereich ist Peking der größte Umweltverschmutzer der Welt und der größte Investor in saubere Energie.

China verbraucht mehr als die Hälfte der weltweiten Kohlevorräte und importiert mehr Öl und – seit 2022 – Flüssigerdgas (LNG) als jedes andere Land. Gleichzeitig ist China ein Vorreiter bei der Nutzung erneuerbarer Energien aus Sonnen- und Windenergie, eine treibende Kraft bei Wasserstoffprojekten und hat den weltweit größten Markt für Elektrofahrzeuge und Batterien.

Dennoch stiegen die chinesischen Kohlenstoffemissionen während der Covid-19-Pandemie auf mehr als 30 Prozent der weltweiten Gesamtemissionen, bevor sie bis 2022 leicht auf 28 Prozent sanken. Das entspricht 14 Gigatonnen (Gt), mehr als alle 38 Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zusammen.

China strebt erst bis 2060 eine Dekarbonisierung an

Im September 2020 kündigte Präsident Xi Jinping an, dass sich China zu einer vollständigen Dekarbonisierung und Kohlenstoffneutralität bis zum Jahr 2060 verpflichten werde. Auf dem Gipfel in Glasgow im Jahr 2021 bekräftigte er das Ziel, die nationalen Emissionen ab 2030 zu reduzieren. Bis dahin können Chinas Emissionen jährlich weiter ansteigen. Zum ersten Mal will Peking nun aber seinen Kohleverbrauch und seine Emissionen ab 2025 reduzieren. Außerdem will China den Anteil „sauberer“ Energiequellen (zu denen nach chinesischer Lesart auch Kernenergie und Wasserkraft gehören) von 15,9 Prozent im Jahr 2020 auf 25 Prozent des Primärenergieverbrauchs bis 2030 erhöhen.

Das schiere Ausmaß des chinesischen Energieverbrauchs zeigt, dass die Nation darüber entscheiden wird, ob der Planet sein Ziel erreicht, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

Klimawandel und Konsequenzen

Kohle verbrennen und erneuerbare Energien hinzufügen wie nie zuvor

China verbrennt jährlich mehr als 4 Milliarden Tonnen Kohle, was 58 Prozent der weltweiten Nachfrage im Jahr 2022 entspricht. Infolge der Energiekrise in China seit 2021 und der steigenden LNG- und Kohlepreise ist die chinesische Kohle-, Öl- und Gasproduktion 2022 stark angestiegen. Das Land steigerte seine Kohleproduktion um 9 Prozent auf 4,5 Milliarden Tonnen im Jahr 2022. Die Gasproduktion stieg um 6,4 Prozent auf 218 Milliarden Kubikmeter (bcm), während die Rohölproduktion zum ersten Mal seit 2015 über 200 Millionen Tonnen stieg.

Obwohl die Genehmigung nicht mit dem Bau gleichgesetzt werden sollte, sind die 106 Gigawatt (GW) an neuen Kohlekraftwerksprojekten, die 2022 genehmigt wurden, erstaunlich. Dieser Trend setzt sich 2023 fort. Im ersten Quartal wurden mindestens 20,5 GW an neuen Kohlekraftwerken genehmigt. Chinas Kohlekraftwerkskapazität könnte bis 2025 270 GW erreichen, mehr als die Kohlekraftwerkskapazität in den Vereinigten Staaten.

Diese Entwicklungen sind alarmierend für die weltweiten Bemühungen zur Emissionsreduzierung, obwohl China im vergangenen Jahr eine Rekordkapazität von 125 GW an Solar- und Windkraftanlagen zugebaut hat. Die Daten seit 2021 zeigen, dass Klima- und Umweltziele erneut hinter Energiesicherheit und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit zurückstehen.

Hohe Nachfrage nach Erdgas und LNG

Erdgas macht in China nur 8 Prozent des Primärenergiemixes aus, verglichen mit 23 Prozent weltweit. Der chinesische Gasverbrauch wird voraussichtlich im Jahr 2035 seinen Höhepunkt erreichen. Die Ausweitung der inländischen Öl- und Gasproduktion genießt hohe Priorität, um die Importe einzudämmen, die 40 Prozent des Erdgasverbrauchs ausmachen.

Der Gesamtgasverbrauch Chinas könnte von 320 Mrd. Kubikmetern im Jahr 2020 auf 340-360 Mrd. Kubikmeter ansteigen, und die Produktion wird voraussichtlich auf 430 Mrd. Kubikmeter im Jahr 2025 ansteigen. Die inländische Erdgasproduktion stieg um 9,8 Prozent auf 189 Mrd. m3 im Jahr 2020 und wird voraussichtlich auf 220-250 Mrd. m3 im Jahr 2025 ansteigen. Dennoch wird China weiterhin schätzungsweise 180-210 Mrd. m³ Pipelinegas und LNG jährlich importieren müssen.

Im Jahr 2025 könnte China 38 Mrd. m3 über die russische Pipeline Power of Siberia 1 und 60 Mrd. m3 aus Zentralasien sowie weitere 10 Mrd. m3 über Pipelines aus Myanmar importieren. Russisches Gas machte 2021 nur 6 Prozent der gesamten Gasimporte aus, obwohl der Anteil im letzten Jahr wegen des Krieges in der Ukraine gestiegen ist.

Doch die Gespräche mit Moskau über den Bau der Gaspipeline Power of Siberia 2 (PS-2), die eine jährliche Kapazität von mindestens 38 Mrd. Kubikmetern hat (und mit Gas von der Halbinsel Jamal gespeist wird, die früher für die inzwischen stillgelegten Nord Steam-Gaspipelines beliefert wurde), zeigen das zunehmende Machtungleichgewicht zugunsten Pekings. Russland hat seinen wichtigsten und profitabelsten europäischen Gasmarkt verloren, weil es in die Ukraine einmarschiert ist, und jede neue Pipeline nach Asien wird fünf bis zehn Jahre bis zur Fertigstellung brauchen. Unterdessen will China seine jährlichen Gasimporte aus Turkmenistan auf 65 Mrd. Kubikmeter verdoppeln. Der steigende Bedarf Chinas wird im Jahr 2025 zu einem LNG-Importbedarf von etwa 80-110 Mrd. m³ führen, der über 24 LNG-Importterminals mit einer Kapazität von derzeit 136 Mrd. m³ pro Jahr gedeckt werden soll.

Können Elektrofahrzeuge eine gerechte Energiewende ermöglichen?

Chinas Einfluss auf den LNG-Markt

China ist der größte Joker in der weltweiten Entwicklung der LNG-Nachfrage, da seine Nachfrage hoch genug ist, um den Marktpreis zu beeinflussen. Während deutsche und andere europäische Gasunternehmen aufgrund der unsicheren Gasnachfrage in der Europäischen Union bis 2030 nur neue LNG-Verträge mit einer Laufzeit von bis zu 10 Jahren abschließen wollen, war China bereit, mit Katar neue langfristige Verträge mit einer Laufzeit von bis zu 30 Jahren zu unterzeichnen. Sollte die Nachfrage Pekings weiter steigen, könnte die EU bereits im nächsten Winter mit Versorgungsproblemen konfrontiert werden. Die Internationale Energieagentur geht davon aus, dass China 80 Prozent der in diesem Jahr zusätzlich verfügbaren 23 Mrd. Kubikmeter LNG absorbieren wird.

Erneuerbare Energien und künftige Stromnachfrage

Der Anteil der Elektrizität am Endenergieverbrauch Chinas liegt derzeit bei etwa 24 Prozent und wird sich Prognosen zufolge bis zum Jahr 2050 auf 46 Prozent fast verdoppeln. Die rasche Verstädterung ist ein wichtiger Faktor. Heute leben fast zwei Drittel der Bevölkerung Chinas in Städten. In den letzten zwei Jahren kam es in mehreren Regionen Chinas zu schweren Stromengpässen, die auf die starke Nachfrage, beispiellose Dürren und schlechtes Energiemanagement zurückzuführen sind. Darüber hinaus führte das politisch motivierte Verbot der Einfuhr sauberer Kohle aus Australien im Jahr 2020 zu lokalen Stromausfällen. Dadurch war China gezwungen, seine heimische Produktion von schmutzigerer und minderwertigerer Kohle zu erhöhen. (Australien ist mit Peking unter anderem deshalb in Konflikt geraten, weil es eine internationale Untersuchung über die Herkunft von Covid-19 gefordert hat).

Große Wetten auf Solar- und Kernenergie

Im Jahr 2021 betrug die chinesische Photovoltaik-Kapazität (PV) 306 GW und die Windkapazität 328 GW. China dominiert auch die weltweite PV-Solarproduktion. Bis 2050 wird ein weiterer Ausbau der Anlagen für erneuerbare Energien erwartet, wobei allein die Photovoltaik bis 2030 auf 1,8 Terrawattstunden (TWh) und bis 2050 auf 5 TWh ansteigen soll.

Außerdem plant China einen Ausbau der Kernenergiekapazitäten von 50 auf 70 GW bis 2025, was den Bau von etwa 20 neuen Reaktoren erfordert. Das Land strebt an, der größte Kernenergiebetreiber der Welt zu werden und finanziert auch den Bau neuer Kernreaktoren weltweit. Seine geplante Kernenergieerzeugung von 660 TWh im Jahr 2050 wird größer sein als die Kapazität Nordamerikas. China baut Kernkraftwerke zu wesentlich niedrigeren Kosten als seine OECD-Konkurrenten.

Wasserstoff (wissenschaftlich als H2 bezeichnet und als vielversprechende Energiespeicherlösung angesehen) wird voraussichtlich ebenfalls eine wichtige Rolle in Chinas Energiesystem spielen. Bis 2030 strebt Peking an, dass Wasserstoff 5 Prozent und bis 2050 10 Prozent des Endenergieverbrauchs ausmacht. Bis 2035 soll eine umfassende Wasserstoff-Energiewirtschaft aufgebaut werden.

Gleichzeitig strebt Peking nach 2030 eine groß angelegte Einführung der Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung (CCUS – Carbon Capture, Utilization and Storage) an. Es muss seine CCUS-Kapazität bis 2060 um mehr als das 400-fache auf 1,3 Gigatonnen CO2 pro Jahr steigern.

Die Verbesserung der Energieintensität und die Energieeinsparung allein werden für eine saubere Energiewende nicht ausreichen. Ein großes Problem stellt die schnell wachsende digitale Infrastruktur dar, die sich bis 2030 mehr als verdoppeln wird. Mit ihr werden auch der Energiebedarf und die Treibhausgasemissionen steigen, wodurch das Ziel der CO2-Neutralität bis 2060 gefährdet ist. Bitcoin und andere Kryptowährungen benötigen vor allem in China Strom für das Mining von Computern, was zum Anstieg der Emissionen beiträgt. Der Strombedarf könnte sich bis 2035 vervierfachen.

Ein weiterer Treiber für die Nachfrage in China ist die Elektromobilität. Im Jahr 2021 wurden in China etwa 3,2 Elektrofahrzeuge (EVs) verkauft – 50 Prozent des Weltmarktes. Das Land produzierte 2021 44 Prozent der weltweiten Elektrofahrzeuge.

charging station
E-charging station

Szenarien

Klimaschutz als Leitmotiv

Die Strategie Made in China 2025 fördert Innovationen in Kernbereichen wie der Elektrifizierung der Industrie, der Verarbeitungstechnologie und der grünen Energie. Energieeffizienz und kohlenstoffarme Technologien (wie Wärmepumpen) werden ebenfalls hervorgehoben. Darüber hinaus wird die Digitalisierung zur Verringerung der Energieintensität in den Bereichen Verkehr, Produktion und Gebäude auch weit über 2025 hinaus eine wichtige Rolle spielen.

Peking sollte sich stärker für den Klimaschutz interessieren, da die globale Erwärmung verheerende wirtschaftliche Folgen für China haben könnte. Durch den Anstieg des Meeresspiegels sind die südlichen Küstenprovinzen Guangzhou, Dongguan und Shanghai gefährdet. Andere Regionen haben mit Wasserknappheit zu kämpfen, die die Förderung von Schieferöl und -gas einschränkt und die Stromerzeugung aus Wasserkraft, die im Jahr 2021 16 Prozent des chinesischen Strommixes ausmachen wird, möglicherweise einschränkt.

Der Wettbewerb um saubere Energie wird durch die Einführung des Inflation Reduction Act in den USA und die Fit-for-55-Politik der EU im Rahmen des European Green Deal verschärft. Die Digitalisierungstechnologien eröffnen jedoch enorme Möglichkeiten für China, das als Produktionsmacht gilt. Sie lassen neue Industrien wie Elektrofahrzeuge, Batterien oder Wärmepumpen entstehen und steigern die Nachfrage nach seltenen Erden und anderen wichtigen Rohstoffen – ein weiterer Bereich, in dem China stark ist. Folglich wird erwartet, dass Chinas Marktanteil bei Elektrofahrzeugen in Europa auf Kosten seiner deutschen und anderen europäischen Konkurrenten schnell wachsen wird.

Energiesicherheit und wirtschaftliche Interessen dominieren

Chinas Energiepolitik hat stets die Versorgungssicherheit in Kombination mit weitgehender Selbstversorgung und Autarkie in den Vordergrund gestellt, um sich von Importabhängigkeiten zu befreien.

Die zukünftige Klimapolitik Pekings wird von geopolitischen Zugeständnissen des Westens abhängen. Das könnte zu einer Beschwichtigungspolitik des Westens in der Taiwan-Frage oder Pekings illegalen Ansprüchen im Südchinesischen Meer führen.

Der Konflikt mit Australien hat deutlich gemacht, dass die Interessen Pekings jede Klimapolitik übertrumpfen. Früher war Australien nach Indonesien der zweitwichtigste Kohlelieferant Chinas, da die australische Kohle von höherer Qualität ist und weniger CO2-Emissionen verursacht als die chinesische. Dennoch war Peking bereit, Australien mit einem Exportverbot für Kohle und andere Güter zu bestrafen und schmutzigere Kohle aus Südafrika, Indonesien und Russland zu importieren.

China ist seinen Konkurrenten beim Zugang zu wichtigen Rohstoffen und Veredelungskapazitäten weit voraus. Es könnte zunehmend von seinen strategisch umsichtigen, langfristigen Investitionen profitieren und den Westen zwingen, protektionistische Maßnahmen zu ergreifen, um seine Rohstoff-, Technologie- und Marktabhängigkeit von China zu verringern.

Author: Dr. Frank Umbach professor, researcher, consultant, European government advisor and prolific author, with expertise in energy security and cybersecurity

Quelle:

Climate goals depend on China