Die Ethik der Wettbewerbsfähigkeit und der Geist des Föderalismus
Der Erfolg des Schweizer Modells scheint im Wettbewerb zwischen den 26 Kantonen in den Bereichen Effizienz, Einkommensverteilung und Steuerausgleich zu liegen
Die wirtschaftlichen Bedingungen in der Schweiz sind beneidenswert und das Land belegt regelmäßig Spitzenplätze in internationalen Wettbewerbsrankings. Das wirft die Frage auf: Wie viel von diesem Erfolg ist auf das politische System zurückzuführen?
Die wirtschaftliche Leistung der Schweizerischen Eidgenossenschaft ist leicht zu quantifizieren, aber für viele Beobachter auf den ersten Blick schwer zu erklären. Wie ist es möglich, dass ein Land mit einem so kleinen Binnenmarkt, in dem die Durchschnittseinkommen zu den höchsten der Welt gehören, so stabile Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt vorweisen kann, nahe an die Vollbeschäftigung herankommt und – was noch erstaunlicher ist – zu den wettbewerbsfähigsten Nationen der Welt gehört?
Zum achten Mal in Folge belegt die Schweiz den ersten Platz in der Rangliste der weltweiten wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, die vom World Economic Forum, einer bekannten internationalen Organisation mit Sitz in Cologny, einem hübschen Dorf in der Republik und im Kanton Genf, erstellt wird.
Der Zusammenhang zwischen Föderalismus und Wirtschaft ist seit langem Gegenstand von Debatten in der Wissenschaft und unter Praktikern: Kann sich ein dezentrales, mehrstufiges politisches System – Bund, Kantone und Gemeinden – günstig auf die Wirtschaftsleistung auswirken?
Die Antwort auf universitärer Ebene, in allen neueren Studien, ist ganz einfach: ja. Wenn die Schweiz eine wettbewerbsfähige Wirtschaft hat, so ist dies vor allem dem Föderalismus zu verdanken.
Aber warum, und vor allem wie, fördert der Föderalismus eigentlich die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit?
Effizienz, Einkommensverteilung und Ausgleich
Effizienz ist die erste der drei Arten, in denen der Föderalismus die Wirtschaftstätigkeit erleichtert. Die Tatsache, dass eine lokale Regierung „nahe am Ort des Geschehens“ eingreifen kann, macht das System dynamischer und rechenschaftspflichtiger und ist das, was die Wettbewerbsfähigkeit stimuliert. Echter Föderalismus, wie in der Schweiz, fördert die Verantwortlichkeit der öffentlichen Verwaltungen.
Zweitens hilft das föderalistische System, die Einkommensverteilung zu verbessern und wirkt als Versicherungsmechanismus. Zum Beispiel ermöglicht die Arbeitsmarktmobilität einen Fluss von Fähigkeiten aus leistungsschwachen Regionen des Landes in dynamischere Regionen.
Und dann gibt es da noch den Finanzausgleich, ein System, bei dem Geld von reicheren Kantonen an solche mit weniger Ressourcen transferiert wird. Dieser Mechanismus, der auf wirtschaftlicher und politischer Solidarität innerhalb der Schweizerischen Eidgenossenschaft basiert, bedeutet, dass jeder wirtschaftliche Einbruch in einer Region durch Transfers und nationale Mittel abgefedert werden kann.
Etwa 20% jedes „Schocks“, der eine Region trifft, wird vom föderalistischen System der Schweiz als Ganzes absorbiert. Dadurch kann die Wirtschaft mehr Risiken eingehen und ein hohes Maß an industrieller oder produktionstechnischer Diversifizierung beibehalten: Denken Sie an die Uhrenindustrie in Neuenburg, die Pharmaindustrie in Basel oder das Finanzwesen in Zürich.
Die 26 Kantone als „Laboratorien der Innovation
Der wichtigste Erfolgsfaktor des Föderalismus ist jedoch noch greifbarer. Die Schweizer Kantone fungieren als kleine „Laboratorien der Innovation“, „Transformatoren der Intelligenz“, die oft in Konkurrenz zueinander stehen und ihre eigenen Lösungen entwickeln, die (wenn sie erfolgreich sind) als Modelle präsentiert werden, denen das ganze Land folgt.
Kantone können von einander lernen. Ein Beispiel dafür ist das Bildungssystem: Obwohl jeder der 26 Bundesstaaten weitgehend für seine eigene Bildungspolitik verantwortlich ist, suchen sie alle ständig nach dem, was am besten funktioniert. Obwohl schwer zu quantifizieren, ist dieser „Laboreffekt“ entscheidend für den Erfolg der Schweiz.
Das Gleiche gilt für traditionellere Bereiche wie Steuern und internen Wettbewerb. Dank der Rivalität zwischen den Kantonen um die Körperschaftssteuer oder ausländische Direktinvestitionen wird das Verhältnis zwischen Steuersätzen und öffentlichen Leistungen ständig neu bewertet.
Die RFFA als Hypothek auf jedermanns Zukunft
In der Schweiz ist die Unternehmensbesteuerung schon vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Steuerreform und die Finanzierung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (RFFA), das 2025 voll wirksam wird, von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich: von 12,3 % in Luzern bis 24,2 % in Genf, obwohl in der Praxis viele große Unternehmen besondere Vereinbarungen mit den Behörden treffen und alle davon profitieren.
Und am Ende kommt es zu einem gesunden Wettbewerb zwischen den lokalen und regionalen Behörden auf verschiedenen Ebenen, um Dienstleistungen effizient zu verwalten, die Steuerlast zu senken und Unternehmen und Arbeitnehmer in ihre Gebiete zu locken.
Niemand weiß genau, was die richtige Balance zwischen Steuern und öffentlichen Dienstleistungen ist. Aber der interne Wettbewerb ermöglicht es allen, zu profitieren und zu experimentieren. Ständiges „Hinterfragen“ ist ein wichtiger Faktor für die Stimulierung und das Wachstum der Wirtschaft in einem „Win-Win“-System.
Kleinere Gemeinden wollen fusionieren und tun dies oft auch, was Effizienzgewinne für die Gemeindekassen und niedrigere Steuersätze für ihre Bürger bringt.
Ein Tugendkreis, der sich selbst nährt
Es ist daher nicht verwunderlich, dass es der Schweiz selbst in Zeiten der Pandemie gelungen ist, gleichzeitig einen sehr hohen Standard im Gesundheitswesen (trotz einiger interessierter oder oberflächlicher Fake News aus einem Nachbarland…) und eine gute allgemeine Wirtschaftsleistung aufrecht zu erhalten.
Tatsächlich war das BIP-Wachstum etwa dreimal niedriger (lies: 3!) als in allen Nachbarländern und die Schweizer Bürger wurden nie in ihren unantastbaren Freiheiten eingeschränkt.
Der Föderalismus scheint also das Geheimnis der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit zu sein und der Türsturz, auf dem die liberale Demokratie der Schweiz beruht, ein Beispiel für die ganze Welt…