Das Europa der kleinen Staaten und ein kaum skizzierter Föderalismus…

La posizione geografrica dei microstati europei
Die geografische Lage der europäischen Mikrostaaten

Alice Raviola hat die Genese und Mutation einiger geopolitischer Akteure des Ancien Régime im Spiel der „Gleichgewichte und Brüche“ und im Vergleich mit der Schweiz untersucht

Wenn heute der Begriff des Kleinstaates in Europa auf einige wenige territoriale Einheiten von wirklich geringer Größe angewandt wird (Vatikanstadt, Fürstentümer Andorra, Liechtenstein und Monaco, Republik San Marino und so weiter), so könnte er sich zwischen dem Herbst des Mittelalters und dem Niedergang des Alten Regimes auf eine Vielzahl von geopolitischen Akteuren beziehen, die auf verschiedene Weise mit den großen nationalen Monarchien interagierten und so eine gewisse Sichtbarkeit und ein Überleben sicherten.

Ein Buch von Blythe Alice Raviola, einer Historikerin der Moderne an der Universität von Mailand, mit dem Titel „L’Europa dei piccoli Stati. L’Europa dei piccoli stati. Dalla prima età moderna al declino dell’antico Regime“, das bei Carocci erschienen ist, widmet sich diesen Gebilden, ob Stadtstaaten, Fürstentümer, Herzogtümer oder Republiken, mit einem Exkurs, der sowohl auf die Dynamik eingeht, deren aktive oder passive Protagonisten sie waren, als auch auf die Gebiete mit der größten regionalen und staatlichen Fragmentierung.

Ein Blick auf den italienischen Fall und auf das Imperium

La copertina del libro di Blythe Alice Raviola
Das Cover des Buches von Blythe Alice Raviola

Die Geographie der Kleinstaaten interessierte sich insbesondere für die Räume des Kaiserreichs und der italienischen, mit eigentümlichen Phänomenen und Gleichgewichten, die sich an den Rändern der beiden Gebiete ereigneten, und Ergebnissen, die als ideales Modell für das moderne Denken dienten: ein Beispiel unter allen ist das der Schweizerischen Eidgenossenschaft und des ursprünglichen Verteidigungspaktes zwischen Uri, Schwyz und Unterwalden, der immer noch die Grundlage ist.

Der sich zwischen konkreten Fällen und politischen Abhandlungen bewegende Essay bietet einen breiten Überblick über das Thema, behandelt einige historiographische Topoi (die Dekadenz der Republiken), hebt neue Untersuchungsfelder hervor (Reichslehen, Grenzen) und zeichnet mit einem Hauch von Zeitgenossenschaft die Abenteuer kleiner gescheiterter oder später Staaten nach.

Es dauerte nicht lange, bis das Schweizer Modell zur Referenz für eine Vielzahl von geopolitischen Gebilden wurde, die anstelle von großen Nationalstaaten wie heute Italien und Deutschland, die als letzte in Europa ihren jeweiligen Einigungsprozess abgeschlossen haben, eine oder mehrere Föderationen von Ländern mit weitaus weniger ambitionierter geografischer Ausdehnung und Kohäsionsgrad hätten entstehen können.

„Diese zum Nachdenken anregende Analyse befasst sich mit einem Problem, das im Vergleich zu den europäischen Großmächten per definitionem marginal ist, aber reich an historiographischen und theoretischen Einsichten. Auf einem ‚gemischten Weg‘ zwischen dem politischen Denken der Moderne und den Wechselfällen ‚bescheidener Realitäten, die aber nicht nur passiv in die großen internationalen Ereignisse verwickelt sind‘, behandelt die Darstellung das Problem der Genese von Kleinstaaten und das ihrer Transformation im Spiel der ‚Gleichgewichte und Brüche‘ der europäischen Geschichte“, schreibt Rinaldo Giuseppe Rinaldi, Ordinarius für italienische Literatur an der Universität Parma.

Mittelalterliche „Fossilien“ oder Reaktion auf den Zentralismus?

La bandiera del Consiglio d'Europa
Die Flagge des Europarates

„‚Mittelalterliche Fossilien‘, die dazu bestimmt sind, zu verschwinden, oder ‚Reaktion‘ auf imperiale universalistische Projekte, ‚Reste ohne Zukunft oder dynamische Realitäten, die sich schnell an veränderte Rahmenbedingungen anpassen können‘, zwingen uns die Kleinstaaten, das Konzept der Grenze und sogar das der ‚großen politischen Ausarbeitung‘ zu überdenken.“

Und weiter: „In diesem Sinne sind die Seiten über die Entstehung der Vereinigten Provinzen im sechzehnten Jahrhundert beispielhaft, eine föderalistische und republikanische Alternative zum zentralistischen und absolutistischen Modell des modernen Staates. Und ebenso luzide sind parallel dazu die Kapitel über die italienischen Kleinstaaten der Renaissance, die in ihrer turbulenten Dialektik zwischen kommunalen und regionalen Dimensionen, herrschaftlichen und republikanischen Institutionen untersucht werden“.

„Im Zentrum des Bandes widmet sich der Autor den Kleinstaatstheorien des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts“, so der piemontesische Professor weiter: „von der zweideutigen machiavellistischen Bewertung über den Skeptizismus von Giovanni Botero bis hin zu der von Hugo de Groot vorgeschlagenen naturrechtlichen Äquivalenz, in der Kontroverse gerade mit Großspanien. Genau hier können wir also die ‚philosophischen Rückfälle‘ des Themas erfassen: einerseits die Vorschläge der konkreten Politik, die die Macht (auch die der ‚Kleinen‘) als Garantie des Überlebens privilegieren; andererseits die der Utopie, die in diesen umschriebenen Inseln den Mythos der Selbstgenügsamkeit, der Gleichmacherei, der Freiheit vage macht“.