Pionierarbeit der Brücke Stuttgart-Degerloch belohnt
Die Eisenbahnspannbrücke Stuttgart-Degerloch wurde mit dem Deutschen Ingenieurbaupreis 2022 für ihre innovative Konstruktion einer Netzbogenbrücke mit helvetischen kohlefaserverstärkten Kunststoffseilen belohnt.

Ein absolutes Novum, das auch die Experten der Empa und ihres Spin-offs Carbo-Link AG mit langjähriger Forschungs- und Entwicklungsarbeit möglich gemacht haben.
Die 127 Meter lange Eisenbahnbrücke Stuttgart-Degerloch über die A8 in Deutschland ist die weltweit erste Netzbogenbrücke, die vollständig auf Zuggliedern aus dem kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff Tenax von Teijin durch die Carbo-Link AG aus Fehraltorf, Schweiz, ruht.
Die Jury des wichtigsten deutschen Staatspreises für Bautechnik begründete ihre Entscheidung damit, dass „die Netzbogenbrücke mit kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffseilen und Karbonhaken als Innovation ein weltweit gelungenes Beispiel des Bauwesens ist und prägende Antworten auf aktuelle Fragen des Bauwesens gibt.„
Der mit 30’000 Euro dotierte Preis ging an das Stuttgarter Ingenieurbüro Schlaich Bergermann Partner (Sbp), das die Brücke von den ersten Entwürfen bis zum fertigen Bauwerk gebaut hat, mit tatkräftiger Unterstützung von Fachleuten der Empa und der Fehraltorfer Firma Carbo-Link AG, die als Empa-Spin-off gegründet wurde und ihr Know-how mit kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen (CFK) einbringen konnte.
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Eine Idee, viele Experimente
Ursprünglich war die Brücke mit herkömmlichen Stahlhaken geplant, bevor Lorenz Haspel vom sbp-Team auf die Idee kam, die Stahlseile durch vorgespannte CFK-Haken zu ersetzen.
Die Ausgangslage für die umfangreichen Vorarbeiten war ungewöhnlich: Für neue Produkte und Konstruktionen dieser Art ist in Deutschland eine bauaufsichtliche Zulassung erforderlich, doch in diesem Fall wurde für dieses völlig neue Bauvorhaben eine „Sondergenehmigung“ erteilt, die wiederum einen detaillierten Eignungsnachweis erforderte.
Im Oktober 2016 initiierten Empa-Experten unter der Leitung von Masoud Motavalli von der „Forschungsstelle für Baustatik“ Versuche, die auch die langfristige Nutzung der Prototypen im Bahnbetrieb und die damit verbundenen Belastungen simulierten. Die Empa-Gutachter Urs Meier – ein Pionier der CFK-Forschung – und Peter Richner, heute stellvertretender Direktor der Empa, analysierten und bewerteten die umfangreichen Daten. Neben den „Ermüdungs“-Eigenschaften von CFK-Seilen berücksichtigten sie auch Fragen der Bewitterung, der Blitzschlag- oder Feuerfestigkeit sowie den Einfluss von elektrischen und magnetischen Feldern und Vandalismus.
Im Mai 2017 schickten Meier und Richner schließlich ihr Gutachten nach Stuttgart, und ein knappes Jahr später kam das Schreiben der baden-württembergischen Genehmigungsbehörde, die den Einsatz von CFK-Hängern beim Bau der A8-Autobahnbrücke unter bestimmten Bedingungen genehmigt.

Eine nachhaltige und kostengünstige Tragstruktur
Obwohl Kostenfragen den Entwurf herausforderten, stellte sich am Ende heraus, dass die Variante mit dünnen CFK-Tragseilen wirtschaftlicher war als eine Konstruktion mit herkömmlichen Stahlseilen.
Auch in puncto Nachhaltigkeit ist die neue CFK-Brücke wegweisend: Die EMPA (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, Schweiz) hat errechnet, dass die CO2-Emissionen bei der Herstellung nur ein Drittel derjenigen der Stahllösung betragen und der Energieverbrauch mehr als halbiert wird.
Angesichts der Vorteile kohlenstofffaserverstärkter Polymere geht CFK-Pionier Urs Meier davon aus, dass sie im Bauwesen nach und nach weitere Anwendungsgebiete erobern werden, so wie es im Flugzeugbau geschehen ist. Die Verleihung des Deutschen Ingenieurbaupreises soll nach Ansicht des Experten diesen Prozess fördern.
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Eine große Auszeichnung für Spitzenleistungen
Der Deutsche Ingenieurbaupreis ist ein renommierter Preis, der alle zwei Jahre vergeben wird und zum vierten Mal unter der gemeinsamen Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Wohnungswesen, Städtebau und Bauwesen und der Bundesingenieurkammer verliehen wurde.
Das Wettbewerbsverfahren wurde vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung mit einer Jury aus sieben anerkannten Experten durchgeführt.
Neben dem Hauptpreis für die Stuttgarter Brücke wurden drei mit jeweils 5.000 Euro dotierte Preise und ein Anerkennungspreis in Höhe von 3.000 Euro vergeben.