Helvetischer Föderalismus zwischen Unabhängigkeit und Kohäsion
Von mittelalterlichen Allianzen zu modernen Herausforderungen: wie der Föderalismus die mehrsprachige Schweiz geprägt hat und weiterhin im Zentrum des politischen Gleichgewichts steht

Der Schweizer Föderalismus ist nicht nur ein Rechtsprinzip oder eine Regierungsformel, sondern ein lebendiger Bestandteil der nationalen Identität. In einem Land mit vier Amtssprachen und 26 Kantonen ist das föderale System die einzige Möglichkeit, den Zusammenhalt, die Demokratie und den Respekt vor der lokalen Vielfalt zu wahren.
Die Ursprünge: ein Pakt unter Gleichen
Der Begriff „Föderalismus“ stammt vom lateinischen Wort foedus ab, was so viel wie Pakt oder Bündnis bedeutet. Und es war genau ein Bündnis zwischen mittelalterlichen Kantonen und Städten am Ende des 13. Im Gegensatz zu vielen anderen Nationen, die auf einer ethnischen oder sprachlichen Identität beruhen, ist die Schweiz eine Willensnation, die auf Vereinbarungen, Kompromissen und gegenseitigem Respekt zwischen autonomen Einheiten beruht.
Drei Regierungsebenen: Eidgenossenschaft, Kantone, Gemeinden
Die politische Struktur der Schweiz besteht aus drei Ebenen: dem Bund, den Kantonen und den über 2.100 Gemeinden. Das Subsidiaritätsprinzip regelt die Verteilung der Kompetenzen: Alles, was lokal verwaltet werden kann, muss lokal verwaltet werden. Nur was die unteren Ebenen nicht verwalten können, wird an die höhere Ebene delegiert. Insbesondere die Kantone verfügen über eine weitreichende Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Steuerautonomie, außer in Bereichen, die durch Bundesrecht geregelt sind.
Gelebter Föderalismus: zwischen Autonomie und Koordination
Föderalismus ist nicht nur Theorie: Er wird täglich gelebt. Ein Beweis dafür sind die Ereignisse während der Coronavirus-Pandemie, als die Kantone je nach lokaler Situation unterschiedliche Massnahmen ergriffen. In einigen Fällen änderten sich die Einschränkungen nur wenige Kilometer entfernt radikal: ein greifbares Beispiel für die „Kompetenz der Kantone“.
Diese Entscheidungsfreiheit wird von der Bevölkerung allgemein geschätzt. Laut einer australischen Studie aus dem Jahr 2021 ist die Schweiz das Land, in dem die Bürgerinnen und Bürger die Grundsätze des Föderalismus am stärksten unterstützen. Das kollektive Bewusstsein erkennt an, wie wichtig das Recht der Regionen ist, sich aktiv an nationalen Entscheidungen zu beteiligen.
Föderalismus: Eine vergleichende Analyse zwischen der Schweiz und anderen föderalen Ländern
Kantonsmehrheit: doppelte demokratische Legitimation
Eine der Besonderheiten der Schweizer Demokratie ist das Prinzip der doppelten Mehrheit für Verfassungsänderungen: Es ist nicht nur eine Mehrheit der Volksabstimmungen erforderlich, sondern auch die der Kantone (mindestens 14 von 26). Dieser Mechanismus gewährleistet, dass auch die kleinen Kantone ein Mitspracherecht haben. Dies zeigte sich bei der Initiative „für eine verantwortungsvolle Wirtschaft“ im Jahr 2020, die trotz einer Mehrheit der Volksabstimmung abgelehnt wurde, weil die Kantonsmehrheit dagegen stimmte.
Der Ständerat: eine Kammer des Gleichgewichts
Seit 1848 vertritt der Ständerat neben dem Nationalrat die Kantone im Bundesparlament. Jeder Kanton verfügt über zwei Vertreter, die sechs Halbkantone über je einen. Dieses System, das sich am amerikanischen Senat orientiert, sorgt für ein Gleichgewicht zwischen den bevölkerungsreicheren und den weniger dicht besiedelten Regionen.
Vom konföderalen Staat zum Bundesstaat
Die moderne Schweiz entstand im Jahr 1848, als nach einem kurzen Bürgerkrieg eine Bundesverfassung angenommen wurde. In den folgenden Jahrzehnten kritisierten die sprachlichen Minderheiten und die Konservativen eine als zu zentralistisch empfundene Regelung. Seitdem hat jedoch keine größere politische Kraft mehr die föderale Struktur des Landes in Frage gestellt, was ein Zeichen für eine breite institutionelle Akzeptanz ist.
Föderale Steuern: eine immer noch „provisorische“ Macht
Seltsamerweise beruht das Recht der Bundesregierung, Bundessteuern zu erheben, immer noch auf einer vorläufigen Ermächtigung. Dieses System wurde während des Ersten Weltkriegs eingeführt und in regelmäßigen Abständen durch Volksabstimmung verlängert. Die letzte Verlängerung wurde 2018 mit 84,1 % der Stimmen angenommen und gilt bis 2035. Sollte das Schweizer Stimmvolk in Zukunft dagegen stimmen, würde die Eidgenossenschaft mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen verlieren.





